Kritik zur 9. Sinfonie von Beethoven am Theater Münster
9. Sinfonie "Ode an die Freude"
Ludwig van Beethoven
Uraufführung: Wien 1824
Theater Münster, Großes Haus, 11.9.2024
Auch das Sinfonieorchester hat den berühmten Jubilar auf dem Spielplan und begeistert das Publikum.
Der frühere Revolutionär hat 200. Geburtstag
Beethovens Neunte Sinfonie gehört zu den berühmtesten Werken der Musikliteratur - wohl auch, weil gerade der vierte Satz mit seiner eingängigen Melodie, dem großen Chorfinale und Schillers Ode an die Freude um die Welt ging. Kein Jahreswechsel ohne Beethovens Neunte, und auch in den Medien ist Freude schöner Götterfunken allgegenwärtig. Das war nach der Uraufführung vor 200 Jahren nicht unbedingt absehbar. Die Kritik nahm die revolutionäre Sinfonie eher verhalten auf. Doch die Konsumenten, das Publikum, waren sofort begeistert. Nur wenige Kompositionen erfreuen sich seit ihrer Uraufführung ungebrochener Beliebtheit.
Auch dem Theater Münster beschert sie ein volles Großes Haus – bei der zweiten Aufführung an einem Mittwochabend. Das ist nicht der Standard. Generalmusikdirektor Golo Berg hatte in der Einführung noch erklärt, wie sich das Stück aus dem linken Spektrum der Gesellschaft in die bürgerliche Mitte vorgearbeitet habe. Was aber oft unerwähnt bleibt, ist, wie schwierig Beethovens Komposition für alle Beteiligten ist. Es gibt viele Beispiele dafür, wie Orchester, Sänger*innen und Dirigent*innen sich mit der Sinfonie keinen Gefallen getan haben - und dem Publikum auch nicht. In Münster ist diese Sorge unbegründet.
Wie auch anderenorts entsteht aber auch bei Golo Berg und dem Sinfonieorchester der Eindruck, dass dem vierten Satz eine größere Aufmerksamkeit geschenkt wird als den drei rein instrumentalen Sätzen davor. Gerade im Ruhepunkt der Aufführung, dem dritten Satz, verliert das Orchester deutlich an Spannung, und so gleiten die lyrisch-meditativen Linien zunehmend in ein kontur- und zauberloses Niemandsland. Der zweite Satz, das Scherzo, ist dagegen voll prägnanter Schärfe und Dynamik. Die Holzbläser wetteifern darum, wer die Achtel am präzisesten spielen kann. Das ist allerfeinste Nähmaschinenarbeit. Im Gegensatz zu dieser verspielten Art der Revolution spürt das Orchester im ersten Satz einer düsteren Grundstimmung nach, in der sich immer wieder schöne Hoffnungsschimmer durchsetzen können.
Kaum bricht das Gewitter des vierten Satzes los, kehrt die Körpersprache zu den Menschen an den Instrumenten zurück. Jetzt gilt es! Vorher fehlte dieses Element - natürlich nicht durchgehend. Den schönsten leisen Moment des Abends haben Celli und Kontrabässe, die konzentriert das Motiv des Götterfunken intonieren. GMD Golo Berg lässt sie nicht gemütlich träumen. Beethovens und Schillers Wunsch von der Einigkeit der Menschheit ist bei ihm ein dynamisches Aufbegehren, das von allen Instrumentengruppen aufgegriffen wird, bevor die Stimmen es aufgreifen. Das Solistenquartett ist oft ein Schwachpunkt in den Interpretationen, in Münster ist es auf den Punkt besetzt. Johan Hyunbong Chois Forderung nach neuen, „angenehmeren Tönen“ ist würdevoll. Tenor Sung Min Song singt den Abschnitt „Froh, wie seine Sonne“ tatsächlich froh und beseelt. Robyn Allegra Parton setzt Beethovens für Sopran komponierte Höhenflüge mit schönem Sopran um. Nach unten hin wird das Quartett durch das schöne Timbre von Wioletta Herbrowska abgerundet.
Der Philharmonische Chor in der Einstudierung von Martin Henning und der Opernchor in der Einstudierung von Anton Tremmel gehen mit großem Enthusiasmus an die berühmten Melodien heran. Gleichzeitig beweisen die Sänger*innen aber auch enorme Konzentration in der von Golo Berg sehr zügig genommenen Fuge. Der Klang der Stimmen ist durchweg präsent und angenehm. Nur bei der Suche nach dem Schöpfer - auch das hat Beethoven unendlich gemein komponiert - stößt der Sopran an die Grenzen des Sternenzeltes. Das ist nur menschlich.
Das letzte „Götterfunken“ der Stimmen führen Golo Berg und das nochmal alles aufbietende Orchester mit einem funkelnden, rasanten Presto zu Ende. Das Publikum nimmt diese Stimmung im Schlussapplaus dankbar auf. Beethovens Musik hat viele Zuhörer erreicht, das war während der Aufführung an mitfieberndem Mit-Dirigeren in Oberschenkelhöhe und begeisterten Gesichtern deutlich zu erkennen.
Beethoven's Ninth Symphony is one of the most famous works of music literature - probably also because the fourth movement in particular, with its catchy melody, grand choral finale and Schiller's Ode to Joy, has gone around the world. There is no New Year without Beethoven's Ninth, and Freude schöner Götterfunken is also omnipresent in the media. This was not necessarily foreseeable after the premiere 200 years ago. The revolutionary symphony was received rather cautiously by critics. But the consumers, the audience, were immediately enthusiastic. Few compositions have enjoyed unbroken popularity since their premiere.
It also brought a full house to the Theater Münster - for the second performance on a Wednesday evening. This is not the standard. In his introduction, General Music Director Golo Berg explained how the play had worked its way from the left-wing spectrum of society to the middle classes. What often goes unmentioned, however, is how difficult Beethoven's composition is for everyone involved. There are many examples of how orchestras, singers and conductors have not done themselves any favors with the symphony - nor the audience. In Münster, this concern is unfounded.
As elsewhere, however, Golo Berg and the symphony orchestra give the impression that more attention is paid to the fourth movement than to the three purely instrumental movements before it. The orchestra clearly loses tension, especially in the resting point of the performance, the third movement, and so the lyrical, meditative lines increasingly slide into a no-man's land without contours or magic. The second movement, the Scherzo, on the other hand, is full of incisive sharpness and dynamics. The woodwinds compete to see who can play the quavers most precisely. This is the finest sewing machine work. In contrast to this playful kind of revolution, the orchestra traces a sombre mood in the first movement, in which beautiful glimmers of hope can repeatedly assert themselves.
As soon as the storm breaks in the fourth movement, the body language returns to the people at the instruments. Now it counts! This element was missing before - not throughout, of course. The cellos and double basses have the quietest moment of the evening, intoning the motif of the spark of the gods with concentration. GMD Golo Berg does not let them dream comfortably. Beethoven's and Schiller's wish for the unity of mankind is a dynamic rebellion that is taken up by all the instrumental groups before the voices take it up. The soloist quartet is often a weak point in interpretations, but in Münster it is perfectly cast. Johan Hyunbong Choi's call for new, “more pleasant tones” is dignified. Tenor Sung Min Song sings the section “Froh, wie seine Sonne” with real joy and soul. Robyn Allegra Parton sings Beethoven's flights of fancy composed for soprano with a beautiful soprano. The quartet is rounded off at the bottom by the beautiful timbre of Wioletta Herbrowska.
The Philharmonic Chorus, rehearsed by Martin Henning, and the Opera Chorus, rehearsed by Anton Tremmel, approach the famous melodies with great enthusiasm. At the same time, the singers demonstrate enormous concentration in the fugue, which Golo Berg takes very quickly. The sound of the voices is consistently present and pleasant. Only in the search for the Creator - something Beethoven also composed in an infinitely mean way - does the soprano reach the limits of the starry canopy. That is only human.
Golo Berg and the orchestra, once again giving their all, bring the final “divine spark” of the voices to a close with a sparkling, fast-paced Presto. The audience gratefully embraces this mood in the final applause. Beethoven's music has reached many listeners, as was clearly evident during the performance from the enthusiastic co-conductors at thigh height and the enthusiastic faces.