Fratzen des Lachens

Dr. Katharina Kost-Tolmein hat ihre erste Saison als Intendantin am Theater Münster überraschend begonnen. Zur Saisoneröffnung ließ sie als Entdeckung Kreneks unbekannte Oper Leben des Orest spielen, später folgte die das Publikum überfordernde Elektra von Richard Strauss – auch nicht unbedingt ein Kernstück des Opernrepertoires. Und nun – quasi zur Halbzeit – eine der berühmtesten Opern: Verdis Rigoletto, ein Stück, das zur Premiere für ein ausverkauftes Großes Haus sorgt. Verdis Drama mit dem Libretto von Franceso Maria Piave ist sicherlich bekannt für seine drei großen Hits: Das koloraturschwebende Caro nome ist gern gewählt in der Kategorie Sopran für Gesangswettbewerbe, das zwischen Dramatik und Legato wechselnde Cortigani gehört zu den Lieblingstücken der Baritone. Aber nichts ist wohl bekannter als La donne è mobile und aus irgendeinem unerfindlichen Grund hat es ausgerechnet dieser chauvinistische Schlager im dreiviertel Takt in die Werbebranche geschafft. 

Am Theater Münster ist die Oper nun in voller Länge und in voller Dramatik zu erleben und das auf einem Niveau, das nicht mal an Häusern mit größerem Budget zu erwarten ist. Die Premiere gerät zu einem Opernabend, wo alles zusammenpasst. Eine Besetzung in Bestform und eine Inszenierung, die Werk und Zuschauer ernst nimmt. Regisseurin Cordula Däuper nimmt sich aber auch das Recht heraus, die Männerdomäne des Herzogs von Mantua entsprechend zu kommentieren. Am Ende dieser Oper sind alle Verlierer. Getreu dem Motto von Shakespeare „Die ganze Welt ist eine Bühne“ legt Friedrich Eggert einen manegeartigen Rahmen an das Bühnenportal. Auf die Drehbühne setzt er einen mächtigen rechteckigen Raum mit dem darüber strahlenden Wort Mantova – dem italienischen Namen für Mantua, wo die Handlung stattfindet. Ein Ort, wo der Herzog herrscht und ihm seine Höflinge mit starren, lachenden Fratzen, die der Männerchor vor sich herträgt, zu Diensten sind. Dreht sich der Raum zeigen dessen Außenwände die Randbereiche der Gesellschaft. Wie unter Stegen und Feuerleitern hausen hier Rigoletto und seine Tochter Gilda, aber auch der Mörder Sparafucile und seine Schwester Maddalena. 

Diese geniale, dreidimensionale Spielfläche nutzt Cordula Däuper für eine auf den Punkt gebrachte Personenführung, die der teilweise recht zügig voranschreitenden Handlung und den schnellen Dialogen in der Partitur gerecht wird. Die Regisseurin hat hier sehr genau auf Libretto und Musik geachtet und arbeitet selbst mit kleinsten Geräuschen, beispielsweise mit einer Metallstange oder einem herabfallenden Schlüssel, weil sie genau an dieser Stelle in die Handlung passen. Das eine Seltenheit.

Zusammen mit den Kostümbildnerin Sophie du Vinage und ihrem Mitarbeiter Ulf Brauner nimmt sie eine auf die Sänger und Sängerinnen maßgeschneiderte Charakterisierung vor, die schon bei den Nebenrollen Sparafucile und Maddelena beginnt. Die beiden armen Schlucker, bekifft und betrunken, schlüpfen in ihre Verkleidungen (die Premiere ist am Karnevalswochenende), die ihnen eine Rolle in der Gesellschaft einbrint. Sparafucile, von Ki Hoon Yoo mit gut vernehmlichem Bass ausgestattet, legt sich als Mörder seinen schwarzen Brustpanzer an. Seine Schwester Maddalena trägt in der Rolle der Verführerin goldene Riesenbrüste vor sich her. Wioletta Herbrowska darf in dieser eigentlich nur kleinen Rollen für Mezzosopran mehr machen als nur ausdrucksstark singen. Ihre Verzweiflung, als sie erkennt, dass ihr Flehen für einen Mann nun eine Frau das Leben gekostet hat, geht unter die Haut. 

Sehr detailliert ist der Regisseurin auch die Zeichnung des Herzogs gelungen. Sie legt dessen übertriebenen, oberflächlichen Frauenverschleiß gnadenlos als Schwäche offen. Aus der toxischen Männlichkeit wird nach und nach ein zerbrochener Mann, der in Gilda etwas gefunden hat, was er nie verstehen wird. Zuerst turnt Garrie Davislim wie ein reicher Hipster im 80iger-Jahre-Style über die Bühne und gibt den unantastbaren Herzog und einen eleganten Verführer. Nach seiner Begegnung mit Gilda sucht er hilflos in Maddelena diesen Charakter, streift ihr Gildas weißes Kleid über und zuletzt auch sich selbst, während er in schwindelerregender Höhe am Abgrund in die Nacht davon taumelt. Davislim kann diese Facetten auch in der Textbehandlung transportieren, während seine Stimme aber jederzeit über den tenoralen Glanz verfügt, der diese unliebsame Rolle gleichzeitig wieder so interessant macht. 

In der heutigen Zeit des Feminismus ist eine Partie wie die Gilda schwer verständlich, aber zusammen mit der Regisseurin gelingt Robyn Allegra Parton ein überzeugendes Rollendebüt. Von ihrem Vater in einer emotionalen Erpressung gehalten, kann sie sich kaum über Zeichnungen und Tagebuch hinaus entwickeln und spielt stattdessen für ihren Vater den erlösenden Engel als Hommage an ihre Mutter. Der verkleidete Herzog löst bei Gilda direkt schwärmerische Gefühle aus. Und diese berühmten Schmetterlinge kann man im Bauch mitvibrieren hören, während sich Partons silberner Sopran mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Caro nome bewegt. Umso bewegender ist dann ihre vokale Verzweiflung, während sie zur Retterin des nächsten Mannes wird und als gefallener Engel endet. Das ist eine vokale und darstellerische Leistung vom Allerfeinsten. 

Nachdem Johan Hyunbong Choi in zwei verschiedenen Opern den Orest gesungen hat, bekommt der Bariton nun eine Rolle, mit der er sich in die Herzen des Publikums singt. Der Narr Rigoletto hat physisch wie vokal schroffe Züge, dem Vater Rigoletto gibt der Sänger das schönste Verdi-Legato. Von der Regie wird seine körperliche Deformierung zurückhaltend behandelt, umso deutlicher aber die psychische Belastung hervorgehoben, die ihn letztendlich zum mentalen Opfer eines Fluches und seiner eigenen Rache werden lässt. Dieser Fluch des Grafen Monterone wird von Gregor Dalal mit packender Intensität ausgerufen. Ebenso intensiv sind die markanten Spitzentöne, die Johan Hyunbong Choi in den Raum meißelt, sei am Ende der Oper, oder sei es zusammen mit Robyn Allegra Parton am Ende der Stretta Si vendetta, die spontane Begeisterung beim Publikum auslöst.

Obwohl Verdi diese Spitzentöne für Bariton, Tenor und Sopran nie wirklich notiert hat, lässt Dirigent Henning Ehlert sie zum Glück aussingen, denn die Sängerin und die Sänger können es bravourös. Ehlert und das Sinfonieorchester wissen genau, wann sie den Stimmen begleitend beistehen müssen und steuern dazu bewegende Klänge bei, beispielsweise das Cello-Solo zu Rigolettos Gnadenersuche. Ansonsten aber befeuert das jederzeit konzentrierte Orchester die Szenen mit hitziger Dramatik. Präzise vorbereitet greifen auch die vielen kleinen Nebenstimmen in die Szenen mit ein: Da muss sogar Melanie Spitau genannt werden, die ihre drei Sätze so präsentiert als gehörten sie einer Hauptrolle. Das gleiche gilt für Lars Hübel als Gerichtsdiener, der nur einen Satz hat. Mit Jooyoung Park, Katharina Sahmland und Anping Lu dürfen Sänger*innen des Opernstudios als Giovanna, Gräfin Ceprano und Borsa beste Bühnenerfahrung sammeln. Kiyotaka Mizuno ist ein grimmiger Graf Ceprano und Ricardo Llamos Márquez ein präsenter Marullo. Beide mischen sich mit in die Männerstimmen von Opernchor und Extrachor. Auch hier wurde von Chordirektor Anton Tremmel eine genaue Einstudierung vorgenommen. So exakt werden die Einwürfe des Chores nicht immer wiedergegeben. 

Die Premiere wird vom Publikum fast frenetisch und langanhaltend gefeiert. Ein gerechtfertigter Beifall samt Standing Ovation, der alle Beteiligten und das Regieteam einschließt. Aber ein bisschen mehr gilt er den Hauptrollen Rigoletto, Herzog und Gilda, deren Sängerin die Ovationen sichtlich glücklich-berührt entgegennimmt. Diese hervorragende Produktion wird in der Außendarstellung dadurch abgerundet, das Studierende des Instituts für Musikwissenschaften der WWU Münster Interviews mit Beteiligten der Produktion geführt haben. Daraus sind sehr gute Podcasts entstanden, die unter dem Titel Gran Teatro. Rigoletto in Münster auf Spotify zu finden sind. So sieht beste Vernetzung des Musiktheaters im Jahr 2023 aus.

Rebecca Broermann