Toleranz ist machbar

Der Besuch des Theaterstückes Der Katze ist es ganz egal ist von Anfang an ungewöhnlich. Weder findet es im Großen Haus noch im Kleinen Haus statt, sondern es geht einige Treppen hinab in das Studio. Der kleine Raum ist an diesem Sonntagnachmittag brechend voll, so als wäre es eine Premiere. Aber die war schon im September 2022. Es scheint so, als würde Regisseurin Carina Sophie Eberle mit ihrer kurzweiligen Fassung von Franz Orghandls Kinderbuch einen Nerv treffen. Denn es geht um ein Thema, das derzeit – wenn man so mancher Hetze im Internet Glauben schenkt –  die Grundfesten der Demokratie erschüttert: Es geht um trans* sein.

Der Inhalt wäre an sich schnell erzählt: Leo ist Jennifer, Leo stellt fest, dass er lieber Jennifer heißt, Leo fühlt sich nicht als Junge, er fühlt sich als ein Mädchen. Natürlich ist allein das ein sehr schöne Neuigkeit und eine aufregende Reise. Aber die Handlung des knapp einstündigen, kurzweiligen Theaterstücks ergibt sich daraus, dass Jennifers Feststellung eben einige Unsicherheit in seinem Umfeld hervorruft. Sein Vater möchte die Rituale mit dem heranreifenden Mann behalten, seine Lehrer wissen erst nicht, wie sie den Menschen ansprechen sollen. Diese Unsicherheiten werden auf Jennifer projiziert und das macht sie unglücklich. Der Titel des Stückes und des Buches ist das eigentliche Geheimnis der Toleranz: Einer Katze, der Jennifer des Öfteren auf dem Schulweg begegnet, ist das ganz egal. Sie schmust weiterhin um die Beine des vertrauten Menschen. Toleranz ist eben machbar, wenn man nur möchte.

Das Bewundernswerte an diesem mutigen Stück ist, dass es so undramatisch erzählt wird. Es wird nicht verschwiegen, dass ein Coming-Out als Trans* einige Veränderungen und Umstellungen bereithält, dass es ein aufregender Entdeckungsprozess ist. Aber es ist eben auch kein Weltuntergang, wenn man einfach mit dem betroffenen Menschen diesen Weg zusammengeht. Das Leben kann eigentlich so einfach sein und das wird auch in Bühnenbild, Kostüme und den wenigen Requisiten von Karen Simon deutlich, die den Charakter eines Kinderbuches widerspiegeln: Zwei Sessel, ein paar Plastikvorhänge im Hintergrund und an der Seite, die man mit Spraydosen auch mal anmalen kann. Außerdem jede Menge Plastikbälle, große und kleine, die man mit etwas Fantasie für alles einsetzen kann, auch als Telefone. Und man kann sie unter die einfarbigen Einteiler der Darstellerinnen stecken und damit die körperlichen Proportionen verändern. So simpel, so genial, so aussagekräftig.

Dass dieses Theaterstück so emotional wertvoll und kurzweilig rüberkommt, daran haben die beiden Darstellerinnen Soraya Abtahi und Amelie Barth einen riesigen Anteil. Die beiden spielen sich nicht nur die Plastikbälle zu, sondern auch die Sätze und Rollen. Mal spielt die eine Darstellerin Jennifer, mal die andere. Alle Rollen sind nicht festgelegt, sondern alles im Fluss, aber immer verständlich. Hier erkennt man die goldene Regel im Theater: Wenn es einfach wirkt, ist es meistens richtig anspruchsvolles Theaterspiel, das perfekt präsentiert wird. Mit welcher entwaffnenden Natürlichkeit und Leichtigkeit diese beiden Menschen Inhalt, Aussage und jede Menge Aktivität rüberbringen, verdient allergrößten Respekt.

Der Applaus am Ende ist recht lang, aber er ist vor allem kräftig mit trampelnden Sohlen auf dem Fußboden. Nicht unerwähnt bleiben darf das ungewöhnliche Programmheft, das man zum Poster auffalten kann, mit vielen kleinen Infos, einem QR-Code zu einem TikTok-Video und auch einige trans Menschen aus dem Münsterland, die bei dem Stück beratend tätig waren, kommen zu Wort. Alles ist sehr zeitgemäß präsentiert, ohne gewollt zu wirken. Hoffentlich darf dieses Stück noch einige Jahre in Münsters Spielplan als Aufklärung dienen.