Das Wunder Orchesterklang

Aus der Neuinszenierung von Wagners fliegendem Holländer an der Oper Köln gibt es auf jeden Fall eine Erkenntnis zu gewinnen: Wenn François-Xavier Roth seinen Posten als Generalmusikdirektor des Hauses im Jahr 2025 verlässt, wird er eine Lücke hinterlassen, aber auch ein gestärktes Orchester. Nachdem dieses Team aus Musiker*innen und Dirigent schon Les Troyenszu einem Erlebnis gemacht haben, gelingt ihnen Wagners Sturm-und-Drang-Drama vielleicht sogar noch besser. Roth wählt dabei teilweise sehr rasche Tempi und kostet die aufgewühlte See auch richtig schön aus. Außerdem schafft er teilweise neue Hörerfahrungen wie die fast kammermusikalische Ballade der Senta, die wie eine gruselig-vorandrängende Gute-Nacht-Erzählung vorgetragen wird. Faszinierend sind aber auch die ruhigen Momente, wenn Roth wie ein Magier kleine Zeichen dem Orchester gibt, das wiederum sehr sensibel den Pulsschlag hält und trotzdem scheint irgendwie die Zeit still zu stehen. Egal in welcher Lautstärke die Instrumente spielen, die Balance ist immer ausgezeichnet und es gibt sehr viele Details zu hören, ohne dass die Musik zerfasert. Warum Richard Wagner als Vater der Filmmusik wird in dieser Interpretation sehr deutlich.

Von der szenischen Umsetzung wären diese Details ebenfalls sehr wünschenswert gewesen, doch bleibt die Inszenierung von Benjamin Lazar und Co-Regisseurin Elizabeth Calleo ein bisschen blass. Die Handlung wird in der Rückschau von Senta erzählt, die vor der Ouvertüre an den Ort des Geschehens zurückkehrt und in die Erinnerung eintaucht. Eine sehr schöne Idee, die aber auch vorwegnimmt, dass es keinen Erlösungstod Sentas geben wird. Stattdessen erlebt das Publikum die Emanzipation Sentas aus ihrem Umfeld und insbesondere der drei Männer, die ihr Leben bestimmen: Ihr Vater Daland, der sie im Austausch für Waffen an einen Fremden verschachern möchte. Der Jäger Erik, der in seiner Leidenschaft und Eifersucht keinen Gedanken für Sentas Wünsche hat und eben der Holländer. Dieser ist eine Flüchtlingsfigur, der so in sein Schicksal als Vertriebener vertieft ist, dass er sogar die Chance ausschlägt mit Senta zusammen in die Zukunft zu gehen.

Diese Geschichte spielt auf einer arg tristen, raumeinnehmenden Einheitsbühne von Adeline Caron, ein seelenloser Containerhafen. Dafür bringen die Kostüme von Caron sehr viel Farbe auf die Bühne und der Ansatz des Regieteams, die Handlung ein osteuropäisches Land der 90iger zu verlegen, wird erkennbar. Um die Bedeutung einer weiblichen, großen Puppe zu verstehen, die erst geschmückt und dann am Ende verbrannt wird, müssen Vorkenntnisse vorhanden sein oder das Programmheft herangezogen werden. Die Uminterpretation der großen Chorszene im dritten Akt, wo die Einheimischen in ihrer Feierlaune gegenüber der traumatisierten Mannschaft des Holländers zu Tätern werden, kann nicht vollends überzeugen.

Dafür aber nutzen Chor und Extrachor der Oper Köln in der Einstudierung von Rustam Samedov diesen Moment, um einmal mehr ihrer Begeisterung zum Singen freien Lauf zu lassen, während die Violinen in den in die Bühne gebauten Orchestergraben etwas mit dem Dirigenten herumalbern. Überhaupt ist der Chor bestens aufgestellt, harmonisch wie schauspielerisch, wobei die Herren leider erst im dritten Akt von der Regie dazu gefordert werden. Der Steuermann von Dmitry Ivanchey mischt sich unter die überschwänglich tobenden Männer, beeindruckt aber am meisten, wenn er sehnsüchtig von seinem Mädel und dem Südwind träumt. Dalia Schaechter gibt eine präsente Amme Mary. Der energiegeladen auftretende Maximilian Schmitt wirkt angeschlagen und sein Jäger Erik klingt vor allem in der Mittellage befreit. Karl Heinz Lehner hat den passenden Bass dafür, um den unsympathischen Daland rollendeckend aber auch mit großer Gesangskultur zu singen. Zusammen mit Joachim Goltz wird die große Szene zwischen Daland und dem Holländer zu einem musikalischen Höhepunkt des ersten Aktes, weil auch der noch jung klingende Heldenbariton sehr differenziert gestaltet und die Partie nicht brüllt. Freilich stehen Goltz auch sehr kräftige Töne zur Verfügung. Auch das Herantasten von Senta und dem Holländer gelingt im Zusammenspiel- und Klang mit Kristiane Kaiser sehr eindrücklich. Die Sopranistin singt die Partie mit viel Feuer und nutzt jede Phrase zu einer nachdrücklichen Gestaltung. Da hat jedes Wort eine Bedeutung und Klang. Nur die Höhen kommen an diesem Abend mit etwas viel Kraftaufwand daher.

Die Reaktion des Publikums hört sich insgesamt etwas träge an, auch wenn es einige Bravo-Rufe für die Sänger*innen gibt. Als dann François-Xavier Roth vor das Orchester tritt, wird es schlagartig lauter im Saal. Diese Interpretation hat offensichtlich Eindruck hinterlassen.