Ein Tänzchen im Palast

„Es war einmal“ – mittlerweile wirken die berühmten Einleitungsworte vieler Märchen wie eine verlegene Übersprungshandlung, wenn die Verfasser noch nicht ganz genau wussten über welche Person sie jetzt schreiben sollten. So beginnt auch die neue Inszenierung von La Cenerentola an der Oper Köln. Ein Autor sitzt an seinem Schreibtisch in seiner Wohnung und hat eine schöpferische Ladehemmung. Während Mario Beltrami mit dem Gürzenich Orchester schon in der Ouvertüre beweist, dass italienischer Belcanto ihnen liegt, wird sowohl das Gehirn des Autoren als auch die Inszenierung von Cecilia Ligurio aktiv. Der Autor wird durch Tänzer versechsfacht und wuselt unruhig durch die Wohnung, bis er schließlich eine zündende Idee hat. Kurzerhand wird sein Schreibtisch links auf die Bühne im Staatenhaus Saal 1 verlegt und die Figuren seines Buches übernehmen in der rechts liegenden Wohnung das Kommando. Ein wenig erinnert diese Bühnenaufteilung von Gregorio Zurla an eine rechte und linke Gehirnhälfte. Zunehmend verschmelzen diese und der Autor greift als Mentor Alidoro in die Handlung mit ein und lässt sich von ihr mitreißen.

Das Aschenputtel Angelina entsteigt wie ein Phönix aus der Asche sogar dem Kamin des Hauses, aber bevor das Happy End kommt gibt es noch allerlei Verwirrungen und vor allem Bewegung. Es ist ein besonderer Glücksfall, dass sich Bühnenbild und Regie mit der Choreografie von Daisy Ransom Phillips so nahtlos verbinden, dass eine Symbiose entsteht. Selten hat man die Sängerinnen und Sänger so im Einklang mit der Musik erlebt. Wolfgang Stefan Schwaiger demonstriert das fabelhaft als Dandini, der sich als falscher Prinz ausgibt. Seine schlaksige Gestalt schwingt mit jeder Rhythmik mit, seine Auftrittsnummer ist ein Glanzstück aus tänzerischer Leichtigkeit und agiler Gesangskunst! Eine Wahnsinns-Show! Mit ihm hält der Glanz Hollywoods der 50iger und 60iger Jahre Einzug auf der Bühne und die schillernden Kostüme von Vera Pierantoni Giua und der Augenschmaus wird perfekt.

Während die Künstler*innen und Choristen und Tänzer zusammen mit Requisiten und Bühnenbild-Elementen im geradezu halsbrecherischen Tempo über die Bühne rotieren, bleibt trotzdem noch genug Raum für musikalischen Hochglanz. Pablo Martinez ist ein Don Ramiro mit tenoralem Charme, vielleicht ein bisschen zu wenig Autorität in der Stimmte, aber trotzdem mit Selbstbewusstsein in der Höhe. Den bösen Stiefvater Don Magnifico singt das Bühnentier Omar Montanari nie übertrieben sondern stilsicher und mit genügend Klang im Parlando. Seine beiden Töchter, Clorinda und Tisbe, sind in ihrer Funktion als Nervensägen von der Regie ein bisschen überzeichnet, aber Jennifer Zein und Charlotte Quadt nutzen trotzdem ihre vokalen Möglichkeiten, um positiv aufzufallen. Die sechs Tänzer genießen förmlich die wunderschöne Choreografie zu der Bass-Arie La del ciel, was auch gleichzeitig davon ablenkt, dass der Bassist Christoph Seidl sich ein wenig durch die Koloraturen mogelt. Davon abgesehen ist Christoph Seidl mit toller Bühnenpräsenz und angenehmen Material ein durchaus glaubwürdiger Spielleiter oder eben Autor.

Es bleibt die Frage nach dem Ende und das Regieteam arbeitet dieses um, ohne die Oper zu verfremden. Ein Sturm fegt die geschriebenen Seiten über die Bühne, die Protagonisten sammeln sie wieder zusammen und versuchen Ordnung ins System zu bringen. Während der Autor noch überlegt, wie man diese Geschichte voller Übergriffigkeit und Diskriminierung enden lassen kann, wendet sich Angelina an den Autoren. Es ist der Moment von Adriana Bastidas-Gamboa, die natürlich auch die gesamte Zeit davor allein schon durch ihr wunderschönes, individuelles Timbre präsent ist. In das finale Nacqui all‘affano legt sie all ihre Wärme, ihre ganze Virtuosität, ohne in Selbstdarstellung zu verfallen. Was sie für ein Happy End fordert, sollten sich viele heutzutage zu Herzen nehmen: Ein Happy End fordert auch Verzeihen und den Blick nach vorne.

Das Publikum reagiert schon ab dem ersten Akt mit Begeisterung auf die Premiere und das zieht sich bis zum langen Schlussapplaus hin. Besonders auffällig ist, dass Dirigent und Orchester zu Recht genauso bejubelt werden wie die Sänger. Selten hört man Rossinis Cenerentola so ausdifferenziert.  Da ist viel Mut für Tempo aber gleichzeitig auch viel Mut und Raum für selten gehörte Nuancen. Das Gürzenich-Orchester leistet Detailarbeit. Das sind allerfeinste Crescendi und punktgenaue Sechzehntel. Diese Interpretation sollte eigentlich für das breite Publikum konserviert werden und es wäre sehr schön, wenn die Oper Köln diese La Cenerentola noch lange in ihrem Repertoire aufbewahren würde. Sie hat die Chance ein Publikumsrenner zu werden.