Kritik zu „Die Perlenfischer“ an der Oper Köln
Les Pêcheurs de Perles
Georges Bizet
Uraufführung: Paris 1863
Besuchte Aufführung: Oper Köln im Staatenhaus, 9.6.2024
Eine konzertante Aufführung beschert dem Publikum ein Belcanto-Fest
Eine Lehrstunde des Belcanto
Wird das Programm ChatGPT nach einer durchgängigen Stimmführung befragt, antwortet es fachkundig unter anderem folgendes: In der Gesangstechnik bezieht sich eine durchgängige Stimmführung auf die Fähigkeit eines Sängers, seine Stimme gleichmäßig und nahtlos über den gesamten Tonumfang hinweg zu kontrollieren. Dies bedeutet, dass der Übergang zwischen verschiedenen Stimmregistern (z.B. Bruststimme, Mischstimme und Kopfstimme) glatt und unmerklich erfolgt, ohne abrupte Veränderungen in Klangfarbe, Lautstärke oder Vokalqualität. An der Oper Köln wird anhand von Bizets Les Pêcheurs de Perles (die Perlenfischer) in der Praxis demonstriert, was durchgängige Stimmen sind – und das in der aller besten Weise. Wer auch immer diese Besetzung zu verantworten hat, hat einen absoluten Glücksgriff getan. In dieser Qualität - egal ob Mensch Ahnung von Gesangstechnik hat oder nicht – ist die lyrische Dreiecksbeziehung zwischen den Perlenfischern Nadir und Zurga sowie der Priesterin Leïla nur selten zu hören. Es ist eine Lehrstunde des Belcanto und zugleich ein hoch emotionaler Opernabend.
Sara Blanch trotzt einer eher antifeministischen Handlung, wo eine Frau Verzicht für religiös-patriarchalische motivierte Ansprüche üben muss, mit einem selbstbewussten Sopran. Diese Priesterin verliert in keinem Augenblick ihre Selbstachtung und ihre Stimmkontrolle. Bei aller Virtuosität bekommen die Zuhörenden nicht nur einen Gesangsautomaten geboten, sondern eine lebendige Figur mit vielschichtigen Gefühlen.
Wie so oft üblich verliebt sich der Sopran in den Tenor und der Bariton ist eifersüchtig. Aus vokaler Sicht hat Leïla hier die Qual der Wahl, für die beiden Männer ist die Liebe zu der Priesterin ein Gift in ihrer Freundschaft, wie es das berühmte Duett Au fond du temple saint zeigt, das in Köln mit dem von Bizetb selbst komponiertenen alternativen Ende aufgeführt wird. Dieses Duett wird von Anthony Leon und Insik Choi mit inniger Verbundenheit gesungen. Ein weiterer „Hit“ und oft gehörter Beitrag auf Opernmedleys ist die Arie Je crois entendre encore , in der Tenor Anthony Leon seine Fähigkeit als empathischer Gestalter aufweisen kann. Die Erinnerung an seine intime Begegnung mit Leïla drückt er in atemberaubenden Höhenflügen aus, wo er seine Stimme auch bruchlos ins Falsett gleiten lassen kann. Es ist einer dieser magischen Momente des Abends, der zu Tränen rühren kann.
Aber Bizet hat auch in dieser Oper das große Drama parat: In einer Szene im dritten Akt bittet Leïla den Anführer des Volkes, Zurga, darum, Nadir freizulassen und sie allein zu opfern. Doch diese Geste bringt den selbst in die Priesterin verliebten Mann zur Raserei. Sara Blanch und Insik Choi schwingen sich hier zu großem dramatischen Gesang auf. Es ist eine Szene, die nur auf der Stuhlkante sitzend gelauscht werden kann – so packend wird sie von den beiden Sängern dargeboten. Der Bariton kehrt dann am Ende der Oper zu seiner lyrischen Linie zurück und opfert seine Existenz, um seinen Freund und Leïla zu befreien. Mit dieser Figur ersingt sich Insik Choi einen weiteren Erfolg an der Oper Köln. Sein resonanzreicher Bariton verfügt über markante Tiefen und autoritäre Höhen, dazu über eine geschulte Atemkontrolle.
Es gibt noch zwei weitere Rollen zu benennen. In der kleinen Rolle des Oberpriester Nourabad ist Bassist Christoph Seidl ein finsterer Vertreter eines religiösen Fundamentalismus. Der aufmerksame Chor der Oper Köln übernimmt die Rolle des Volkes, muss mit plötzlichen Einsätzen manche Lücke des Librettos füllen. Auffälliges Detail in der Chorgestaltung und ein Ausdruck der damaligen Zeit ist, dass Bizet nur die Männerstimmen Zurga zum Anführer ausrufen lässt. Ansonsten sind die auch die Frauen gleichberechtigt an diesem triumphalen Erfolg, den der Chor in der Einstudierung von Rustam Samedov verbuchen kann.
Die Oper Köln hat sich für eine konzertante Aufführung entschieden, was angesichts eines etwas holprigen Librettos von Michael Carré und Eugène Cormon nicht die schlechteste Entscheidung ist. So kann sich das Gürzenich-Orchester Köln als Motor der Handlung und akustisches Bühnenbild profilieren. Unter der dynamischen Leitung von Nicholas Carter ist das Orchester ein aufmerksamer Begleiter für die Sängerinnen und Sänger. So kommen die Zuhörenden sehr oft in den Genuss, wie Stimmen und Instrumente zu einer Symbiose verschmelzen. Das Publikum nimmt dieses Geschenk der Künstler*innen dankend an und zeigt mit häufigen Zwischenbeifall an, dass es die bemerkenswerte Wiedergabe zu schätzen weiß. Der laute Schlussapplaus wäre vermutlich noch länger ausgefallen, wenn sich das Solistenquartett einzeln vor das Publikum gestellt hätte. Stehender Beifall beendet einen Abend, an dem unangefochten die Musik und Kunst im Mittelpunkt steht.
Genau diesen Erfolg hat die Oper Köln auch am Ende der Saison dringend gebraucht. Der musikalische Leiter der Oper, François-Xavier Roth, lässt seine Arbeit ruhen, nachdem gegen ihn Vorwürfe der sexuellen Belästigung laut geworden sind. Außerdem wartet die Musikwelt auf die Pressekonferenz für die nächste Spielzeit, auf der auch bekannt gegeben wird, ob die Oper Köln in ihr Stammhaus am Offenbachplatz zurückkehren wird, dessen Renovierung zu einem Millionengrab geworden ist. Für alle Beteiligten ist nur zu hoffen, dass bald Ruhe einkehren und dass der Fokus auf Opernabende wie diese zurückkehren wird. Noch zweimal sind die konzertanten Perlenfischer zu erleben.
A lesson in bel canto
When the ChatGPT program is asked about consistent vocal control, it expertly answers, among other things, the following: In vocal technique, continuous voice leading refers to a singer's ability to control their voice evenly and seamlessly across the entire range. This means that the transition between different vocal registers (e.g. chest voice, mixed voice and head voice) is smooth and imperceptible, without abrupt changes in timbre, volume or vocal quality. At the Cologne Opera, Bizet's Les Pêcheurs de Perles (The Pearl Fishers) demonstrates in practice what continuous voices are - and in the very, very best way. Whoever is responsible for this casting has made an absolute stroke of luck. The lyrical love triangle between the pearl fishers Nadir and Zurga and the priestess Leïla is rarely heard in this quality - regardless of whether you know anything about vocal technique or not. It is a lesson in bel canto and at the same time a highly emotional evening of opera.
Sara Blanch defies a rather anti-feminist plot, where a woman has to make sacrifices for religious-patriarchal demands, with a self-confident soprano. At no point does this priestess lose her self-respect, just as the singer never loses her vocal control throughout the entire performance. For all her virtuosity, the audience is not just treated to a singing automaton, but to a lively character with multi-layered emotions.
As is so often the case, the soprano falls in love with the tenor and the baritone is jealous. From a vocal point of view, Leïla is spoiled for choice here; for the two men, love for the priestess is a poison in their friendship, as shown in the famous duet Au fond du temple saint, which is performed in Cologne with the alternative ending composed by Bizet himself. This duet is sung by Anthony Leon and Insik Choi with heartfelt affection. Another "hit" and often-heard contribution to opera medleys is the aria Je crois entendre encore, in which tenor Anthony Leon demonstrates his ability as an empathetic interpreter. He expresses the memory of his intimate encounter with Leïla in breathtaking flights of fancy, where he can also let his voice slide seamlessly into falsetto. It is one of those magical moments of the evening that can move you to tears.
But Bizet also has the great drama ready in this opera: in a scene in the third act, Leïla asks the leader of the people, Zurga, to release Nadir and sacrifice her alone. But this gesture drives the man, who is himself in love with the priestess, to frenzy. Sara Blanch and Insik Choi soar into great dramatic song here. It is a scene that can only be listened to sitting on the edge of your seat - it is so grippingly performed by the two singers. The baritone then returns to his lyrical line at the end of the opera and sacrifices his existence to free his friend and Leïla. With this character, Insik Choi sings his way to another success at the Cologne Opera. His richly resonant baritone has striking lows and authoritative highs, as well as a well-trained breath control.
There are two other roles to mention. In the small role of the high priest Nourabad, bass Christoph Seidl is a sinister representative of religious fundamentalism. The attentive chorus of the Cologne Opera takes on the role of the people, having to fill some gaps in the libretto with sudden entries. It is striking and an expression of the time that Bizet composed the choice of the new leader in such a way that only the male voices proclaim Zurga. Otherwise, the women also have an equal share in this triumphant success, which the chorus in Rustam Samedov's production can take credit for.
The Cologne Opera has opted for a concert performance, which is not the worst decision given the somewhat bumpy libretto by Michael Carré and Eugène Cormon. This allows the Gürzenich Orchestra Cologne to make its mark as the driving force behind the action and the acoustic stage set. Under the dynamic direction of Nicholas Carter, the orchestra is an attentive companion for the singers and the audience very often enjoys how voices and instruments merge into a symbiosis. The audience gratefully accepts this gift from the artists and shows its appreciation of the remarkable rendition with frequent applause. The loud final applause would probably have been even longer if the soloist quartet had stood in front of the audience individually. Standing ovations end an evening in which music and art are the undisputed focus.
It is precisely this success that the Cologne Opera desperately needed at the end of the season. The opera's musical director, François-Xavier Roth, is taking a break from his work after allegations of sexual harassment were made against him. The music world is also waiting for the press conference for the next season, at which it will also be announced whether the Cologne Opera will return to its original home on Offenbachplatz, the renovation of which has turned into a million-dollar grave. Everyone involved can only hope that calm will soon return and that the focus will return to opera evenings like this one. The concert performances of Perlenfischer can be experienced twice more.
Translation by DeepL