Kritik zu „Die Walküre“ am Konzerthaus Dortmund
Die Walküre
Richard Wagner
München1870
Konzerthaus Dortmund, 1.5.2024
Eine lyrische, konzertante Walküre mit jungen, frischen Stimmen.
Der letzte Ton wirkt nach
Während an der Oper Dortmund das Rheingold in den Endproben ist, kehren Yannick Nézet-Séguin und das Rotterdam Philharmonic Orchestra für die Walküre im Konzerthaus Dortmund ein. 2023 hatten sich Dirigent und Orchester schon mit dem Rheingold an gleicher Stelle für das Bühnenweihfestspiel qualifiziert. Nach der gelungenen Walküre darf gehofft werden, dass der gesamte Ring zur Aufführung kommt. Die Konzentration auf die Musik des Werkes darf angesichts einer weltweiten Überproduktion des Rings als Glücksfall gelten. So sehr künstlerische Vielfalt gefördert werden muss, so zeichnet sich mittlerweile doch eine gewisse szenische Einfallslosigkeit ab. Die oft psychologischen und/oder modernen Deutungen verlieren ihre Durchschlagskraft.
Zurück zum ersten Mai im Dortmunder Konzerthaus. Der sogenannte Erste Tag des Bühnenweihfestspiel wird beworben mit einer „Met-Besetzung“. Tatsächlich sind es Stimmen, die zwar international erfahren und erfolgreich, aber auf der Ring-Bühne noch Newcomer sind. Daraus ergibt sich für die Walküre ein sehr ungewohnter Höreindruck – so lyrisch kann dieser lange Opernabend selten gehört werden.
Der erste Akt ist ein Frühlingsfest der Stimmen: Elza van den Heever ist eine Sieglinde der Gegenwart und Zukunft, sofern sie jetzt aufpasst, dass ihre Stimmbänder nicht im Klassikbetrieb verheizt werden. Dieser jugendliche Elan, der mühelose Strahl in den Höhen sind seltene Eigenschaften und sind bis oben die Galerie des Konzerthauses zu hören. Sie verfügt über die passende Technik eine derartige Rolle ausgeglichen zu singen und hat trotzdem einen emotionalen Zugriff auf den Text. Letzterer wird sich nach diesem Rollendebüt bestimmt noch erhöhen. Einen zu ihr passenden Siegmund wurde mit Stanislas de Barbeyrac aufgeboten. Ein lyrischer Tenor, der sich gerade sehr vehement das junge-heldische Fach mit Rollen wie Max, Erik und Florestan erobert. Auch die Schönheit seiner Stimme muss unbedingt bewahrt bleiben. Sein Siegmund ist jung und leidenschaftlich, was für diese Rolle schonmal die halbe Miete ist. Die Bruststimme verfügt über eine gute Resonanz und die Höhe sitzt auf dem Körper. Technisch also beste Voraussetzungen. Die Interpretation ist jetzt noch stellenweise ein bisschen wehleidig, was aber nicht ganz passend ist, selbst wenn sich Siegmund Wehwalt nennt. Das dürfte sich mit der szenischen Auseinandersetzung der Rolle in London wahrscheinlich verbessern. Komplettiert wird dieser musikalische Genuss durch Solomon Howard, der einen nachdrücklich gefährlichen Hunding singt, bei dem vor allem die Höhen durch Mark und Bein gehen.
Der zweite und dritte Akt offenbart dann auch die kleinen Schwächen des lyrischen Konzeptes. Hatte Yannick Nézet-Séguin die Balance zwischen den Instrumenten und der Sängerin und den Sängern noch gut im Blick, so gerät Wotan-Sänger Brian Mulligan unter die Räder des im Fortissimo aufspielenden Orchester. An sich ist sein unverbraucht klingender Wotan ein passender Vater des Wälsungen-Geschlechtes Sein Bass-Bariton kann in der Tiefe frei schwingen und sauber phrasieren. Sein reflektierter Rückblick im großen Monolog und sein wehmütiger Abschied von seiner Tochter sind sehr gut gesungen. Doch sein Ausbruch über das ersehnte Ende und der Zorn auf die ungezogene Tochter Brünnhilde gehen in der Dramatik der Instrumente unter. Tamara Wilson meißelt ihre überschwänglichen Walküren-Rufe in das Dach des Konzerthauses. Intensiv ist ihre Todesverkündigung und die finale Aussprache mit Wotan Auch ihr fehlt noch der letzte Feinschliff in der Rollenerfahrung, was daran zu merken ist, dass sie im zweiten Akt ihre Fragen an Wotan immer einen Schlag zu spät stellt.
Großes Opernkino ist Karen Cargill als Fricka. Auf der einen Seite eine arrogante Göttin mit der passenden Körpersprache, auf der anderen Seite eine verletzte Ehefrau, die ihre Argumente schlagfertig und im jedes Wort wissend vorbringt. Wenn auf diesem Niveau gesungen wird, braucht es auch keine Inszenierung mehr und dazu kommt noch die Kombination aus Orchester und Dirigent . Das Walküren-Oktett reiht sich in diese Klasse mit ein und ist deshalb namentlich zu nennen: Jessica Faselt, Brittany Olivia Logan, Justyna Bluj, Iris van Wijnen, Maria Barakova, Ronnita Miller, Anna Kissjudit und Catriona Morison treffen genau den Nerv des Walkürenritts. Yannick Nézet-Séguin gehört zu den Dirigenten, der Musik auslebt ohne sich selbst zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Das Orchester übernimmt seine Sogkraft und liefert die akustische Kulisse für die Rollen. Auch hier sind ein paar kleine Unkonzentriertheiten im zweiten Akt anzumerken, aber das fällt bei dieser Intensität nicht weiter ins Gewicht. Der letzte Ton des Feuerzaubers darf noch mehrere Sekunden in absoluter Stille nachwirken, bevor ein enthusiastischer Jubel ausbricht.
Englisch Translation
While Rheingold is in final rehearsals at the Dortmund Opera, Yannick Nézet-Séguin and the Rotterdam Philharmonic Orchestra are returning to the Konzerthaus Dortmund for Die Walküre. The conductor and orchestra had already qualified for the stage festival in 2023 with Rheingold at the same venue. After the successful Walküre, it is to be hoped that the entire Ring will be performed. The concentration on the music of the work can be considered a stroke of luck in view of the worldwide overproduction of the Ring. As much as artistic diversity must be encouraged, a certain lack of scenic imagination is now becoming apparent. The often psychological and/or modern interpretations are losing their impact.
Back to the first of May in Dortmund's Konzerthaus. The so-called First Day of the Bühnenweihfestspiel is advertised with a "Met cast". In fact, these are voices that are internationally experienced and successful, but still newcomers on the Ring stage. This results in a very unusual aural impression for the Walküre - this long opera evening is rarely heard so lyrically.
The first act is a spring festival of voices: Elza van den Heever is a Sieglinde of the present and future, provided she takes care now not to burn out her vocal chords in the classical music business. This youthful verve, the effortless beam in the high notes are rare qualities and can be heard all the way up to the gallery of the Konzerthaus. She has the right technique to sing such a role with balance and still has an emotional grip on the text. The latter will certainly increase after this role debut. Stanislas de Barbeyrac provided a Siegmund to match her. A lyric tenor who is currently conquering the young heroic repertoire with roles such as Max, Erik and Florestan. The beauty of his voice must also be preserved at all costs. His Siegmund is young and passionate, which is half the battle for this role. The chest voice has a good resonance and the high notes sit on the body. Technically, therefore, the best prerequisites. The interpretation is still a little whiny in places, but this is not entirely appropriate, even if Siegmund calls himself Wehwalt. This is likely to improve with the staging of the role in London. This musical delight is completed by Solomon Howard, who sings an emphatically dangerous Hunding, whose high notes in particular cut through the marrow and bone.
The second and third acts then reveal the minor weaknesses of the lyrical concept. While Yannick Nézet-Séguin still had the balance between the instruments and the singers well in view, Wotan singer Brian Mulligan falls under the wheels of the orchestra playing fortissimo. In itself, his fresh-sounding Wotan is a fitting father of the Wälsungen family. His bass-baritone can swing freely in the low register and phrase cleanly. His reflective retrospection in the great monologue and his wistful farewell to his daughter are very well sung. However, his outburst at the longed-for end and his anger at his naughty daughter Brünnhilde are drowned out by the drama of the instruments. Tamara Wilson chisels her exuberant Valkyrie cries into the roof of the concert hall. Her proclamation of death and the final debate with Wotan are intense. She still lacks the final touches of role experience, as can be seen from the fact that she always asks her questions to Wotan a beat too late in the second act.
Karen Cargill as Fricka is great operatic cinema. On the one hand an arrogant goddess with the right body language, on the other a wounded wife who puts forward her arguments with a quick wit and knowing every word. When the singing is at this level, there is no need for staging and the combination of orchestra and conductor adds to this. The Valkyrie octet joins this class and should therefore be mentioned by name: Jessica Faselt, Brittany Olivia Logan, Justyna Bluj, Iris van Wijnen, Maria Barakova, Ronnita Miller, Anna Kissjudit and Catriona Morison get right to the heart of the Ride of the Valkyries. Yannick Nézet-Séguin is one of those conductors who lives out the music without placing himself too much at the center. The orchestra takes over and provides the acoustic backdrop for the roles. Here, too, there are a few minor lapses in concentration in the second act, but this is of little consequence given the intensity. The last note of the fire magic is allowed to linger for several seconds in absolute silence before an enthusiastic cheer breaks out.
Translation by DeepL