Kritik zu „Das Rheingold“ an der Oper Dortmund

Das Rheingold
Richard Wagner
München1869
Oper Dortmund, 9.5.2024
An dritter Stelle des Dortmunder Rings steht der Anfang und ist trotz oder wegen einiger Ungewöhnlichkeiten sehens- und hörenswert.
Zwischen Atombomben und Regenbogen
Chaos im Dortmunder Ring-Ablauf. Zuerst werden Die Walküre und Siegfried aufgeführt. Auf das Rheingold folgt nächste Saison die Götterdämmerung. Zuerst die Familiensaga der Wälsungen, dann Anfang und Ende vom Mythos. Und als ob Peter Konwitschny schon zeigen möchte, was mit seinen Göttern passiert, lässt er sie am Ende gealtert im Rollstuhl von der Bühne fahren. Wotan hat zuvor noch einen tiefen Zug von seinem Asthma-Spray genommen, bevor er seine Burg Wallhall begrüßt hat.
Wie es zu erwarten war, geht Konwitschny das Rheingold über weite Strecken sehr frech an, ohne dabei aber den Respekt vor der Aussage des Komponisten zu verlieren. Die zweite Szene, wo die Götter mit den Riesen Fasolt und Fafner verhandeln und der Feuergott Loge vom Raub des Rheingolds berichtet, könnte in der Personenführung eigentlich nicht authentischer und werkgetreuer erzählt werden – WENN da nicht das Setting Jens Kilian wäre. Der macht aus Göttern und Riesen zwei primitive Völker, die in Zelten hausen. Wotans Speer ist hier ein großer runenbemalter Knochen und Loge erinnert mit seiner Fellmütze an Sam Hawkins. Allein diese optische Abwechslung zu vielen anderen Inszenierungen um den Globus, lohnt den Besuch der Aufführung. Das Lichtdesign von Florian Franzen wirkt die Sicht auf die Bühne etwas diffus (zumal auch viel mit der Nebelmaschine gearbeitet wird) – fast so als würde sich das Publikum an eine Geschichte vage erinnern.
Neue Akzente setzt Konwitschny auf dem Grunde des Rheins, wo Alberich, ebenfalls hier noch primitiv gekleidet, während des Vorspiels angelt und sich dann den Rheintöchter durch einen Vorhang und eine große Klappleiter nachstellt. Der Raub des Rheingoldes ist ein kleiner Coup de Theatre, wenn Alberich den Nixen ihren goldenen Boden unter den Füßen wegzieht und mit ihm in den Himmel aufsteigt. In der dritten Szene ist treffen wir ihn wieder in Niebelheim. Er ist zum modern gekleideten Herrscher einer Wolkenkratzerlandschaft aufgestiegen und lässt sich Atombomben bauen. So verständlich diese Metapher der Macht ist, so banal ist sie auch, und der Austausch der Bomben gegen Freia wird zu einem ziemlich blassen Moment.
Wieder einen anderen Akzent setzt Konwitschny mit dem kurzen Auftritt der Erda. In den meisten Inszenierungen ist es ein Moment des Stillstands. Hier erscheint die Urmutter als Heimatlose und vielen Kindern im Gepäck, die sich Bälle zuwerfen und die Protagonisten mit dem roten Seil der Nornen verbinden.

(c) Thomas M. Jauk
GMD Gabriel Feltz hat sich mit den Dortmunder Philharmonikern tief in den Orchestergraben zurückgezogen. So wird das Orchester den Sängern nie gefährlich. Nur selten bricht es wirklich episch aus den Instrumenten heraus. Sie unterwerfen sich der Konversation und Gabriel Feltz setzt zudem ungewohnte Pausen zum Nachdenken. Wie schon in der Walküre sind für das Finale je drei Hafen rechts und links vom Orchestergraben positioniert, was dem Regenbogenmotiv einen wunderschönen Glitzer verleiht. Mit so einfachen Mitteln können Regie und Orchester dem Werk ohne Verfälschung einen neuen Anstrich geben, während die Sängerinnen und Sänger ihren Rollen mehr als nur gerecht werden. Diese Besetzung darf wohl als eine der homogensten der letzten Jahre gelten. Angeführt wird sie von Joachim Goltz, der mit heldisch geführten Kavaliersbariton einen gefährlich-guten Alberich zwischen Machtwahn und Verzweiflung darbietet. Matthias Wohlbrecht gibt dem Loge sarkastische Eleganz. Tommi Hakala ist als Wotan trotz aller vokalen Götterpracht von Anfang an zum Untergang verdammt. Ebenso ergeht es auch den starken Morgan Moody und Sungho Kim. Ihre Stimmen sind ambivalent zu ihren verkörperten Figuren. Die Freia von Irina Simmes ist ein wunderschön lyrischer Kollateralschaden von der Machtpolitik Wotans. Ursula Hesse von den Steinen versucht vergeblich mit starker Präsenz einen Hauch von der göttlichen Würde zu bewahren. Melissa Zgouridi warnt als Erda mit menschlicher Wärme.
Wie akribisch die Rollen mit Stimme und Körpersprache ausgesucht wurden, zeigt sich an den Riesen Fasolt und Fafner. Der großartige Denis Velev tapst mit Blumenstrauß für Freia auf die Bühne und besteht mit großer Eindringlichkeit auf die Einhaltung des Vertrags. Artyom Wasnetsov gibt dem Fafner einen fast brutalen Bass und kann dazu vor Kraft kaum Laufen. Die Rheintöchter - Sooyeon Lee, Tanja Christine Kuhn und Marlene Gaßner – sind im Klang sehr homogen, in der Körpersprache dafür individuell. Last but not least: Fritz Steinbacher als Mime, ein verrückter Professor mit einem Tenor, der zwischen Opferhaltung und Wahnsinn hin und her pendelt.
Am Ende gibt Konwitschny noch einen Kommentar zur Gegenwart: Der Regenbogen nach Wallhall ist hier eine Fahne der Rheintöchter. „Falsch und feig ist was dort oben sich freut“ wird gesungen, steht geschrieben, entsprechende Flyer werden ins Publikum geworfen, wo sie dort bald wieder mit Füßen getreten werden. Zuvor gibt es ganz kurz einen Schlagabtausch zwischen Ablehnung und Zustimmung für die Regie. Die musikalische Seite wird eindeutig positiv bejubelt.
2025 kommt es dann zum großen Ring-Finale. Am 18. Mai 2025 kommt die Götterdämmerung zur Premiere. Szenisch viel neues dürfte nicht zu erwarten sein, denn schon jetzt wird auf der Homepage der Oper Dortmund vom Stuttgarter Konzept gesprochen, wo Konwitschnys Sicht auf den Dritten Tag des Bühnenweihfestspiels zu Beginn des Jahrtausends Premiere hatte. Nichtsdestotrotz wird es spannend, weil es folgen zwei Zyklen Ende Mai und Anfang Juni, die in der Reihenfolge ihrer Dortmunder Aufführungen ablaufen werden.
Between atomic bombs and rainbows
Chaos in the Dortmund Ring programme. Die Walküre and Siegfried will be performed first. The Rheingold will be followed next season by Götterdämmerung. First the family saga of the Wälsungen, then the beginning and end of the myth. And as if Peter Konwitschny wanted to show what happens to his gods, he has them leave the stage in wheelchairs at the end, aged. Wotan has just taken a deep breath of his asthma spray before greeting his castle Wallhall.
As was to be expected, Konwitschny takes a very cheeky approach to Rheingold over long stretches, but without losing respect for the composer's message. The second scene, where the gods negotiate with the giants Fasolt and Fafner and the fire god Loge reports on the theft of the Rhinegold, could not be told more authentically and true to the work - IF it were not for Jens Kilian's setting. He turns gods and giants into two primitive peoples living in tents. Wotan's spear here is a large rune-painted bone and Loge's fur cap is reminiscent of Sam Hawkins. This visual change from many other productions around the world alone makes the performance worth a visit. Florian Franzen's lighting design makes the view of the stage appear somewhat diffuse (especially as there is also a lot of work with the fog machine) - almost as if the audience is vaguely remembering a story.
Konwitschny sets new accents at the bottom of the Rhine, where Alberich, also still dressed in primitive clothes here, fishes during the prelude and then stalks the Rhinemaidens through a curtain and a large folding ladder. The robbery of the Rhinegold is a small coup de theatre when Alberich pulls the golden ground from under the mermaids' feet and ascends to heaven with him. In the third scene, we meet him again in Niebelheim. He has risen to become the modernly dressed ruler of a skyscraper landscape and has atomic bombs built for himself. As understandable as this metaphor of power is, it is also banal, and the exchange of the bombs for Freia becomes a rather pale moment.
Konwitschny sets another accent with the brief appearance of Erda. In most productions, it is a moment of standstill. Here, the primordial mother appears as a homeless woman with many children in her luggage, throwing balls to each other and connecting the protagonists with the red rope of the Norns.
GMD Gabriel Feltz has retreated deep into the orchestra pit with the Dortmund Philharmonic Orchestra. As a result, the orchestra never becomes dangerous for the singers. Only rarely does it burst out of the instruments in a truly epic way. They submit to the conversation and Gabriel Feltz also provides unusual pauses for reflection. As in the Walküre, three harbours are positioned to the right and left of the orchestra pit for the finale, giving the rainbow motif a wonderful glitter. With such simple means, the director and orchestra are able to give the work a new flavour without distortion, while the singers more than do justice to their roles. This cast is probably one of the most homogeneous of recent years. It is led by Joachim Goltz, who portrays a dangerously good Alberich between delusions of power and despair with a heroic cavalier baritone. Matthias Wohlbrecht gives Loge a sarcastic elegance. As Wotan, Tommi Hakala is doomed from the outset despite all the vocal splendour of the gods. The same applies to the strong Morgan Moody and Sungho Kim. Their voices are ambivalent to their embodied characters. Irina Simmes' Freia is beautifully lyrical collateral damage from Wotan's power politics. Ursula Hesse von den Steinen tries in vain to preserve a hint of divine dignity with a strong presence. Melissa Zgouridi warns with human warmth as Erda.
The giants Fasolt and Fafner show how meticulously the roles were chosen with voice and body language. The magnificent Denis Velev stomps onto the stage with a bouquet of flowers for Freia and insists with great urgency that the contract be honoured. Artyom Wasnetsov gives Fafner an almost brutal bass and can barely walk with his strength. The Rhinemaidens - Sooyeon Lee, Tanja Christine Kuhn and Marlene Gaßner - are very homogeneous in sound, but individual in their body language. Last but not least: Fritz Steinbacher as Mime, a mad professor with a tenor that oscillates between victimisation and madness.
At the end, Konwitschny comments on the present: the rainbow after Wallhall is a flag of the Rhine daughters. "Falsch und feig ist was dort oben sich freut" (Wrong and cowardly is what rejoices up there) is sung, it is written, corresponding flyers are thrown into the audience, where they are soon trampled underfoot again. Beforehand, there is a very brief exchange of blows between rejection and approval of the direction. The musical side is clearly cheered in favour.
The grand Ring finale will then take place in 2025. Götterdämmerung will premiere on 18 May 2025. We can't expect much in the way of new scenery, as the Dortmund Opera website is already talking about the Stuttgart concept, where Konwitschny's take on the third day of the stage festival premiered at the beginning of the millennium. Nevertheless, it will be exciting, because two cycles will follow at the end of May and beginning of June, which will run in the order of their Dortmund performances.