Kritik zu „La forza del destino“ am Theater Bonn

La forza del destino
Giuseppe Verdi
Uraufführung: Mailand 1869
Besuchte Aufführung: Opernhaus Bonn, 2.2.2025
Dank Will Humburg und dem Orchester wird die ohnehin dramatische Oper zu einem echten Thriller.
Von der Schicksalsgöttin getrieben
Nicht nur wegen der Besetzung waren die Opernfreunde sehr gespannt auf die Premiere von La forza del destino am Theater Bonn. Denn mit Will Humburg steht ein ausgewiesener Verdi-Experte am Pult. Er dirigiert einen spannungsgeladenen, klangsatten Verdi, der das Publikum auf der sprichwörtlichen Stuhlkante hält. Seine Interpretation ist hochkomplex; sie lebt von fein gearbeiteten Temponuancen, plötzlichen Richtungswechseln und bewusst gesetzten Zäsuren. Humburg fordert das Beethoven Orchester Bonn bis an seine Grenzen und darüber hinaus. Dabei entstehen immer wieder Momente intensiver Verdichtung und dramatischer Aufladung, die sich unmittelbar auf den gesamten Raum übertragen.
Besonders eindrucksvoll ist, wie das Orchester diese anspruchsvolle Lesart umsetzt. Die Partitur verlangt nicht nur technische Perfektion, sondern auch ständige Wachsamkeit – denn die Vielzahl an Tempowechseln und dynamischen Kontrasten erschwert die Kommunikation mit der Bühne erheblich. Und doch gelingt es dem Beethoven Orchester Bonn, diese Herausforderung mit bemerkenswerter Präzision zu meistern. Die Blechbläser spielen mit glühender Energie, setzen glanzvolle Akzente und geben den dramatischen Höhepunkten ihre Wucht. Die Holzbläser überzeugen mit blitzsauberer Artikulation und gestalterischer Feinheit. Die Streicher tragen die emotionale Linie mit großer Klarheit, zugleich geschmeidig und kraftvoll. Humburgs Lesart ist dabei kein Selbstzweck, sondern tief mit der dramatischen Struktur des Werks verwoben – ein musikalischer Ausdruck jener existenziellen Unruhe, die sich auch in Verdis Text und Figuren spiegelt.

Im Zentrum des Abends stehen drei starke Sängerpersönlichkeiten, die das zerrissene Beziehungsgeflecht dieses Verdi-Dramas mit stimmlicher Präsenz und feiner Charakterzeichnung füllen. Yannick-Muriel Noah verkörpert Leonora mit großer emotionaler Tiefe und technischer Souveränität. Ihre warme, ausdrucksstarke Bruststimme gleitet bruchlos in die exponierten Höhen, ohne ihre Klangschönheit zu verlieren. Besonders ihr tragfähiges, farbenreiches Piano berührt – und macht Leonoras innere Zerrissenheit unmittelbar erfahrbar.
An ihrer Seite gestaltet George Oniani die Partie des Don Alvaro mit dramatischer Leidenschaft und klanglicher Kontrolle. In den ausdrucksstarken Höhen überzeugt sein Tenor mit Intensität und klarem Fokus; er kostet die emotionalen Ausbrüche aus, ohne sie zu überzeichnen. Auch sprachlich bleibt er präsent: ein Verzweifelter, der liebt, zweifelt und hadert – mit sich, mit der Welt, mit dem Schicksal.
Ihnen gegenüber steht Franco Vassallo als Don Carlo di Vargas – Alvaros Gegenspieler und Leonoras Bruder. Er bringt baritonale Rachsucht, die in durchschlagenden Höhen kulminiert, auf die Bühne, ohne ins Grobe zu verfallen. Gleichzeitig verleiht er der extremen Figur durch sein elegantes Legato auch noble Züge. So entsteht ein bedrückendes Dreieck aus Liebe, Schuld und Vergeltung – getragen von drei Stimmen auf gleichem, hohem Niveau.
Pavel Kudinov differenziert die beiden Vaterfiguren – Leonoras leiblichen Vater, den Marchese di Calatrava, und den geistlichen Vater, Padre Guardiano – mit seinem markanten Bass. Als Marchese zeigt er sich hart, unnachgiebig. In der Rolle des Padre Guardiano hingegen entfaltet er eine sonore Wärme und Fürsorglichkeit, die der verfolgten Leonora Schutz bietet. In einer einzigen Stimme treffen hier weltliche Strenge und spirituelle Milde aufeinander.
Enrico Marabelli ist ein Fra Melitone, wie er im Buche steht: frech, temperamentvoll, stimmlich prägnant und mit einem Gespür für Timing und Präsenz. Sein Bariton klingt durch und durch italienisch – farbenreich, leichtfüßig und zugleich kernig. Besonders auffällig ist seine exzellente Diktion: jedes Wort sitzt, jede Silbe trägt Bedeutung. In seinen beiden großen Szenen – mehr Raum gibt ihm Verdi nicht – nutzt Marabelli jede Gelegenheit, das Bühnengeschehen an sich zu reißen. Ein echtes Bühnentier. Daneben müssen aus dem Ensemble des Theater Bonn noch zwei weitere Sänger genannt werden: Miljan Milovic lässt in der kleinen Rolle des Alkade mit starkem Material aufhorchen. Gleiches gilt für Tae Hwan Yun als Trabuco.

Sir David Pountneys Inszenierung, in der szenischen Einstudierung von Robin Tebbutt, setzt auf symbolische Verdichtung und formale Strenge – mit Licht, Video und Raum als treibende Kräfte. Zwei große Wandelemente strukturieren das Geschehen: mal als Begrenzung, mal als durchlässige Raumteiler verschoben, schaffen sie wechselnde Konstellationen zwischen Einengung, Flucht und Ausblick. In den ersten Akten definieren sie Innenräume – das Haus der Calatravas, eine Schenke, das Kloster –, später tragen sie sichtbare Kriegsspuren. Diese reduzierte Bühnenästhetik von Raimund Bauer wirkt kühl, aber effektiv – sie verdichtet die Schicksalshaftigkeit des Stücks zu einer grauenhaften Ordnung. Dass dabei das Timing auf der Bühne nicht immer präzise gelingt, zeigt sich vor allem beim Chor: Einsätze hinter den Wänden geraten oft ungenau oder akustisch verdeckt – ein Zeichen dafür, dass die Abläufe zur Premiere noch nicht vollständig ausgereift sind. Chor und Extrachor des Theater Bonn zeigen sich in der Einstudierung von André Kellinghaus ansonsten von ihrer besten stimmlichen Seite, was angesichts der szenischen Anforderungen nicht selbstverständlich ist.
Pountney hat La forza del destino bereits an der Wiener Staatsoper inszeniert – eine Produktion, die seinerzeit auf verhaltene Resonanz stieß. Der dort entwickelte symbolistische Ansatz findet sich auch in Bonn wieder: etwa in der wiederkehrenden Videoeinspielung einer Kugel, die den tödlichen Schuss auf Leonoras Vater zeigt. Im Gegensatz zur szenischen Umsetzung, die in ihrer symbolhaften Überfrachtung nicht durchweg überzeugt, gewinnen die Kostüme von Marie-Jeanne Lecca an Klarheit und Ausdruck. Sie bringen etwas Struktur und Charakter in eine Inszenierung, die sich visuell oft abstrakt gibt. Mit Anklängen an das 19. Jahrhundert – etwa in den militärischen Uniformen, den hochgeschlossenen Kleidern und bürgerlichen Silhouetten – erzeugen sie eine historische Rahmung, ohne sich eindeutig festzulegen.

Gleichzeitig erlauben sie karikierende Überhöhungen, wie bei den Chor-Kostümen, oder mythische Überzeichnungen, wie bei Preziosilla. Gerade ihr schwarzes, körperbetontes Kostüm mit Totenmaske sticht als visuelles Zentrum heraus – eine Figur zwischen Allegorie, Apokalypse und Macht. Sie erscheint als überzeitliche Schicksalsgöttin und erinnert an mythologische Gestalten zwischen Leben und Jenseits. Selbst in ihrer stummen Präsenz wirkt Dshamilja Kaiser fast übermenschlich, als wolle sie das Geschehen nicht nur begleiten, sondern lenken. Wenn sie singt, dann mit großer stimmlicher Brillanz und stilistischer Souveränität. Ihre Stimme ist beweglich, sicher geführt, in der Höhe wie in der Tiefe präsent. Die Koloraturen sitzen präzise, die Energie trägt bis in die äußersten Ränge. Besonders eindrücklich gelingt ihr der berühmte Rataplan-Chor, den sie – auf einer Kanone sitzend – mit feuriger Energie anführt. Dabei treibt sie den Chor förmlich in den Krieg, während sich der Raum in ein gespenstisches Licht taucht: Fabrice Kebours Lichtgestaltung lässt kalte Schatten und harte Kontraste entstehen – ein atmosphärisch dichter, unheimlicher Moment, der dem Abend eine beklemmende Tiefe verleiht.
Die musikalische Seite dieser Premiere wird nahezu frenetisch gefeiert. Will Humburg und das Orchester werden schon nach der Pause bejubelt. Die Reaktion auf das Regieteam fällt verhaltener aus – ohne in Ablehnung umzuschlagen.
Driven by the Goddess of Fate
It wasn't just the cast that had opera lovers eagerly anticipating the premiere of La forza del destino at Theater Bonn. With Will Humburg on the podium – a conductor renowned for his Verdi expertise – expectations were high. He leads a performance that is rich in tension and color, keeping the audience on the edge of their seats. His interpretation is highly complex, marked by finely shaped tempo nuances, sudden shifts, and deliberately placed pauses. Humburg pushes the Beethoven Orchestra Bonn to its limits and beyond, conjuring repeated moments of intense concentration and dramatic charge that resonate throughout the auditorium.
What’s especially impressive is how the orchestra rises to the demands of this intricate reading. The score calls not only for technical mastery, but for constant vigilance – the multitude of tempo changes and dynamic contrasts make communication with the stage exceedingly difficult. Yet the Beethoven Orchestra Bonn meets the challenge with remarkable precision. The brass play with fiery energy, adding brilliance to the climactic moments. The woodwinds impress with their crystal-clear articulation and expressive finesse. The strings carry the emotional line with clarity, fluidity, and strength. Humburg’s interpretation is no self-serving display – it is deeply rooted in the dramatic structure of the work, a musical expression of the existential turmoil that pulses through Verdi’s text and characters.
At the heart of the evening stand three commanding vocal presences who give emotional and musical shape to the opera’s tangled web of love, guilt, and vengeance. Yannick-Muriel Noah portrays Leonora with emotional depth and technical control. Her warm, expressive chest voice ascends seamlessly into exposed high passages without losing its tonal beauty. Her resonant, colorful pianissimo is particularly moving – revealing the full weight of Leonora’s inner conflict.
Alongside her, George Oniani brings Don Alvaro to life with passionate intensity and refined vocal control. His tenor unfolds with focus and fervor, particularly in the high dramatic moments, which he shapes without excess. His diction remains clear and present: he embodies a man torn between love, doubt, and a hostile fate.
Opposing them is Franco Vassallo as Don Carlo di Vargas – Alvaro’s rival and Leonora’s brother. He brings baritonal vengeance to the stage, culminating in piercing high notes, without descending into coarseness. His elegant legato lends this extreme character a sense of nobility. The result is a harrowing triangle of emotional and moral extremes – realized by three voices of equally high caliber.
Pavel Kudinov offers a finely nuanced portrayal of the opera’s two father figures – Leonora’s biological father, the Marchese di Calatrava, and the spiritual guide Padre Guardiano – with his distinctive bass. As the Marchese, he is stern and unyielding. As Padre Guardiano, his voice unfolds with a deep warmth and gentle authority, offering refuge to the hunted Leonora. Within a single voice, worldly severity and spiritual compassion find balance.
Enrico Marabelli’s Fra Melitone is straight from the textbook: cheeky, vibrant, vocally agile, and rich in comic timing. His baritone is quintessentially Italian – colorful, buoyant, and firm. His diction is particularly striking: every word lands, every syllable has purpose. In his two main scenes – Verdi gives him no more – Marabelli commands the stage with flair and precision. A true stage animal. From the ensemble, two additional singers deserve mention: Miljan Milovic, in the small role of the Alkalde, impresses with his vocal strength, as does Tae Hwan Yun as Trabuco.
Sir David Pountney’s production, in a stage realisation by Robin Tebbutt, opts for symbolic compression and formal rigor – with light, video, and space as the dominant forces. Two large movable wall elements structure the stage: sometimes forming a backdrop, sometimes narrowing the space like partitions. In the first acts they create defined interiors – the Calatrava estate, a tavern, the monastery – while in the later acts, they bear the scars of war: cracks, dents, dulled surfaces. Raimund Bauer’s austere set design is not decorative, but effective – it condenses the fatalism of the work into a grim visual order. However, coordination between stage and pit is not always seamless. The chorus, in particular, often delivers entrances from behind these partitions that are imprecise or muffled – a sign that stage timing was not yet fully polished at the time of the premiere. Still, the chorus and extra chorus of Theater Bonn, rehearsed by André Kellinghaus, deliver vocally on a high level – not something to be taken for granted under such demanding staging conditions.
Pountney has staged La forza del destino before – at the Vienna State Opera – where the production received a lukewarm response. His symbolist approach from Vienna resurfaces here in Bonn: for example, in the recurring video image of a bullet in flight – the shot that kills Leonora’s father and sets the entire tragic chain of events into motion.
In contrast to the overly laden staging, the costumes by Marie-Jeanne Lecca bring clarity and character to the production. They provide a visual anchor in an otherwise abstract environment. With nods to the 19th century – in military uniforms, high-necked dresses, and bourgeois silhouettes – the designs suggest historical context without pinning the action to a specific era. At the same time, they allow for caricature, as in the chorus costumes, and for mythical exaggeration – particularly in the striking appearance of Preziosilla. Her black, form-fitting outfit with a death mask stands out as a visual focal point – a figure suspended between allegory, apocalypse, and power. She appears as a timeless goddess of fate, evoking mythic archetypes between life and death. Even in silence, Dshamilja Kaiser’s presence suggests a supernatural force – as though she were not merely observing the action, but directing it. When she sings, it is with vocal brilliance and stylistic assurance. Her voice is agile and secure, resonant in both high and low registers. Her coloratura is crisp, her energy magnetic. Especially memorable is the famous Rataplan chorus, which she – seated on a cannon – leads with fiery conviction. She drives the chorus into war as the stage is bathed in ghostly light: Fabrice Kebour’s lighting design casts cold shadows and stark contrasts – an atmospherically dense, unsettling moment that lends the evening a haunting intensity.
The musical side of this premiere is met with near-frantic applause. Humburg and the orchestra are cheered even before intermission. The reception for the directing team is more reserved – though it never tips into rejection.
English translation generated with the assistance of ChatGPT-4o.