Angstschweiß auf der Stirn

Sieben Namen, zuständig für die optische Umsetzung, lassen sich im Programmheft zählen für die Neuinszenierung von Verdis Macbeth am Aalto Theater Essen. Neben den erfahrenen Bühnenbilder Frank Philipp Schlössmann und Lichtdesigner und Lichtdesigner Franck Evin finden sich dort auch die Namen der Choreografinnen Agata und Teodora Castellucci, die beide dem künstlerischen Kollektiv Dewey Dell angehören. Der Name Castellucci weckt auch Erinnerungen an die Inszenierungen von Romeo Castellucci, der beispielsweise 2021 Don Giovanni bei den Salzburger Festspielen in gewaltigen Tableaus erschuf. In gewisse Familien-Ähnlichkeit drängt sich beim Betrachten der Chorografien durchaus auf. Auch hier steht oft eine ästhetische Wirkung des Augenblicks vor einer durchgehenden Erzählung der Geschichte. Weiterhin drängt sich die Frage auf, inwieweit die Choreografien die Grundideen von Regisseurin Emily Hehl beherrscht vielleicht sogar verdrängt haben.

Denn was genau die junge Regisseurin mit dem Werk eigentlich erzählen wollte, bleibt unscharf. Es geht vorrangig um Angst, ein Begriff, der mit dem Tod oft Hand in Hand geht, weshalb vermutlich die Göttin Hekate durch das Geschehen schreitet. Verdis Oper ist reichlich angefüllt mit Tod und Angst. Es ist bestimmt auch eine spannende Frage, wie weit das mörderische Ehepaar Macbeth von Angst beeinflusst, getrieben werden und sich daraus entwickeln. Immerhin wird deutlich, dass Macbeth sich seiner Angst stellt, wenn er zum zweiten Mal die Hexen aufsucht. Durch die fatalen Prophezeiungen ist er zunächst gebrochen, wird dadurch aber nur entschlossener, während Lady Macbeth dem Wahnsinn verfällt und letztendlich als ein Häufchen Asche endet. Dieses Gericht findet vor den Augen der Gesellschaft statt, die auch Macbeth große Reflektion in der Arie Pietà, rispetto, amore mitanhören. Nachdem das Publikum Massimo Cavalletti für dessen Legatokünste applaudiert hat, klatscht das unterdrückte Volk zynischen Beifall dem Mörder und Usurpator. Einer der stärksten szenischen Einfälle des Abends.

Die an sich sehr spannende Geschichte geht unter in einer Ästhetik, deren Sinn sich oft nur das eigene Gefühl erschließen lässt. Immerhin lassen sich diverse Pausengespräche hören, in denen die unterschiedlichen Gefühle erzählt werden, die angesichts der Choreografien empfunden wurden. Visuell ist der stärkste Moment der dritte Akt, wenn die Tänzerinnen Anna Maria Papaiacovou, Julia Schalitz und Sena Shirae mit einem schwarzen Tuch ein wahrhaft namenloses Ritual der Hexen kreieren. Eine brodelnde Masse aus schwarzem Nichts passend zu Verdis Ballettmusik, die nicht immer so intelligent genutzt wird. Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann ist eine weiße Wand und wird hauptsächlich wie eine Leinwand für Kreidemalerei genutzt. Vor dieser weißen Wand bekommt aber auch das Farbschema (schwarz-weiß, blau und grün) der Kostüme von Emma Sophie Gaudiano und Frank Philipp Schlössmann eine schöne Wirkung.

Die choreografierte Körpersprache hat den Vorteil, dass der Chor des Aalto-Theaters richtig stark und belebend in die Handlung eingebunden ist. Auch wenn anhand der einzelnen Gesichter und ausgeführten Gestik schon ein Unterschied in der Intensität des Sich-Einbringens ausgemacht werden kann, ist dieses Kollektiv in seinen Bewegungen aber auch in der präzisen musikalischen Gestaltung (Einstudierung Klaas-Jan de Groot) beeindruckend. Besonders den Sopran-, Mezzi- und Altstimmen müssen für die differenziert artikulierten Chöre der Hexen gelobt werden, die hier keinesfalls klischeehaft dargestellt werden. Ein weiterer, zeitgemäßer Vorteil des Abends, der allerdings seine großen Stärken letztendlich durch die musikalische Seite gewinnt.

Wie sein Vorgänger im Amt, Tomáš Netopil, tritt auch der neue musikalische Leiter Andrea Sanguineti sein Amt mit Macbeth an. Der Dirigent wählt eine auffallend leise Grundstimmung, die Verdis Musik zu einem dunklen Thriller macht. Diese Stimmung voller Feinheiten hat eine Wirkung wie eine gute Filmmusik und treibt den Hörenden den Angstschweiß auf die Stirn. Die Essener Philharmoniker spielen sowohl die vielen Kleinigkeiten aber auch die typische italienische Attacke mit Bravour aus. In diese Attacke fallen dann auch George Vîrban als Malcolm und Alejandro del Angel als Macduff ein, wenn sie zur Revolution gegen den Usurpator aufrufen. Letzterer hat schon zuvor mit seinem trauernden Moment Oh figli die Herzen berührt und auf weitere Rollen am Aalto neugierig gemacht. Sebastian Pilgrim bringt für den Banquo einen sehr dunklen, raumgreifenden Bass mit sich.

Die beiden Hauptrollen sind passend zum Inszenierungskonzept und zur Interpretation des neuen GMD besetzt. Hier geht es vor allem um Feinheiten. Astrik Khanamiryan ist als Lady Macbeth eine fiese Einflüsterin, ein weiblicher Jago. Ihre Stimme gewinnt bei ihrem Rollendebüt sehr schnell eine in sich ruhende Ausstrahlung, sie ist agil für die vielen Läufe der Partitur, hat aber auch die nötige Kraft parat. In der Wahnsinnsszene entfacht sie durch Sprache und Gestik ein Bild Grauens. Dank des sehr sängerfreundlichen Dirigats muss sie ihren Sopran nur selten mit viel Druck führen und es sei ihr zu wünschen, dass das noch lange so bleiben wird. Denn dieser schöne jugendlich-dramatische Sopran sollte seine Schönheit noch lange behalten dürfen. Massimo Cavalletti bringt für die Titelpartie einen italienisch geschulten, warmen Bariton, der besonders in der Mittellage über einen sicheren Stimmsitz verfügt. Er bietet kein heldisches Machotum sondern ein in jeder Phrase durchdachtes Portrait eines scheiternden Despoten, der eigentlich nie die Courage für diese Boshaftigkeit hatte. Auch er wird nach diesem gelungenen Rollendebüt mit und an dieser Partie noch weiterwachsen können.

Das Ende dieser Premiere ist vorhersehbar. Die musikalische Seite wird ohne Abstriche belohnt, die Sänger von Macduff, Lady und Lord Macbeth lautstark gefeiert, der Chor bejubelt, Dirigent und Orchester gefeiert. Stehende Ovationen für die gesamte musikalische Seite, was auch auf dem Instagram-Account auch deutlich zu sehen und zu hören ist. Dagegen schlägt dem Regieteam laute Ablehnung entgegen, die aber vielleicht auch als Diskussionspotential zu sehen ist.