Kritik zur Live-Übertragung von "Don Giovanni" aus der Metropolitan Opera
Don Giovanni
Wolfgang Amadeus Mozart
Uraufführung: Prag 1787
Liveübertragung aus der Metropolitan Opera in New York ins Cineplex Münster am 20.5.2023
Eine fast klaustrophobische Inszenierung mit großem Bühnenbild und starker, natürlicher Besetzung.
Metoo mit Happy End und starken Stimmen
Aller guten Dinge sind drei. Im Rahmen der Live-Übertagungen aus der Metropolitan Opera wurde bislang zweimal Don Giovanni gezeigt und beide Male war das Ergebnis eher bescheiden. Das lag vor allem daran, dass die Inszenierung von Michael Grandage ihren größten Gewinn aus der Ausstattung von Christopher Oram gewann. Aber auch die musikalischen Leistungen waren eher nur ordentlich. In dieser Saison dann die Neuinszenierung von Ivo van Hove, die sich die Met mit der Opera Bastille in Paris teilt. Schon der Anblick der bühnenhohen Kulisse offenbart, es wird anders werden im Vergleich zur Vorgängerinszenierung. Wo früher mediterrane Fensterfronten die Bühne beherrschten, sind die Mauern dreier drehbaren Türme glatt und schwarz. Die Veränderungen innerhalb dieses Bühnenbildes laufen manchmal so unscheinbar ab, dass man sie erst bemerkt, wenn sie abgeschlossen sind. Diese Bühnenkonstruktion von Jan Verweyveld ist ein großes architektonisches Meisterwerk, das Gassen, Treppen, Fenster in verschiedenen Variationen anbietet. Obwohl die Möglichkeiten sich zu bewegen zahlreich sind, entsteht doch das Gefühl in diesem Komplex eingesperrt zu sein. Die elegant anliegenden Kostüme von An D’Huys passen sich diesem Design an. Sie repräsentieren durch Anzüge und Kleider gesellschaftliche Schichten, haben kleine Details wie etwas Spitze zu bieten, sind aber an sich sehr schlicht und nüchtern. Nur im Finale des ersten Aktes wird mit einem kleinen Maskenball etwas Glanz aufgefahren.
Dezent und trotzdem einprägend ist das Lichtdesign, mit dem Versweyveld die Szene ausleuchtet. Es fällt oft wie das kalte Scheinwerferlicht eines Autos durch die Gassen auf die Bühnenfläche. Hier lässt Ivo van Hove ein überraschend nüchternes Drama abspielen, das sich fern aller aufgesetzten Dramatik einprägsam einbrennt. Von den Schauspielern ist eine fast natürliche Körpersprache gefordert, was besonders Adam Plachetka schwerfällt, der relativ häufig in alte Gewohnheiten des Theaterspielens zurückfällt. Gesanglich wiederum ist diese Wandlungsfähigkeit gegeben und seine Stimme hebt sich bestens von Peter Mattei ab, der einen intensiven Don Giovanni gibt und der vermutlich einer der besten Interpreten der letzten beiden Dekaden ist. In van Hoves Konzept ist Don Giovanni ein eiskalter Verbrecher, ein emotionslos agierender Vergewaltiger, der seine Privilegien ausnutzt. Durch Peter Matteis samtweichen Bariton mit dem individuellen Timbre bekommt dieser Charakter eine neue Dimension, weil es diese charmante Art umso gefährlicher macht, ihm ihn die Falle zu gehen. Ana Maria Martinez ist eine rabiat auftretende Donna Elvira, die ihrem Ex-Mann das Leben zur Hölle machen will. Im ersten Akt singt sie furios auf, im zweiten Akt beginnt sich ihre Stimme merklich zu verhärten.
Erfreulich erfrischend ist van Hoves Sicht auf Donna Anna und Don Ottavio, deren gemeinsame Zukunft am Ende der Oper immer noch möglich ist. Van Hove lässt sie dabei auch viele Gefühlregungen in dieser Ausnahmesituation durchlaufen. Frederica Lombardi bewegt sich technisch und emotional sehr sicher durch die Partie der Donna Anna, ist im Sinne der #metoo Bewegung ein Opfer, ist nach Rache, Gerechtigkeit und Frieden aus. Ein sehr gutes und individuelles Portrait dieser Rolle. Ben Bliss gibt ihren Verlobten Don Ottavio als einen Mann, der Fehler macht, der seine eigenen Bedürfnisse zeigt, der aber auch jede Sekunde seine Verbundenheit zu Donna Anna ausdrückt. Das Ganze wird mit viriler Entschlossenheit samt lyrischen Linien ausformuliert – eine sehr seltene Mischung in dieser Rolle. Die ethnischen Äußerlichkeiten der chinesischen Sängerin Ying Fang und des farbigen Baritons Alfred Walker machen den sozialen Unterschied zwischen Zerlina und Masetto zu den anderen Rollen deutlich, die in die Hierarchie deutlich über dem Bauernpaar stehen. Gerade wenn ein weißer Macho wie Don Giovanni den farbigen Masetto überrumpelt und verprügelt, bekommt das aktuellen Bezug. Alfred Walker ist dabei ein sehr zupackender und gefährlicher Masetto. Seine Zerlina dagegen ist berechnend, aber am Ende mit dem Herz auf dem Fleck und Ying Fang singt das mit entwaffnender Natürlichkeit aus. Alexander Tsymbalyuk leitet mit gnadenlos eingesetztem Bass als überirdisches Element den Untergang des Verbrechers Don Giovanni ein – ein Prinzip, das oft wünschenswert wäre. Auf der bislang kargen Bühne blühen am Ende ein paar Blumen. Eine vielleicht naive Vorstellung, aber eine schöne.
Sehr schön frisch kommt das Dirigat von Met-Debütantin Nathalie Stutzmann, die dem Orchester der Metropolitan Opera sehr viel Charme und Lockerheit entlockt. Vor allem in den Klang der Streicher mischen sich oft Zwischentöne wie aus der Praxis der historischen Aufführungspraxis. Als Kontrast wäre manchmal noch eine Spur mehr Dramatik wünschenswert gewesen, aber trotzdem lässt sich sagen, dass diese Interpretation, die eine deutlich hörbare Homogenität zwischen Orchester und Stimme herstellt, eine der besten der letzten Jahre an der Met ist. Außerdem scheinen die Mikrophone bzw. die Aufnahmequalität in New York nicht die beste gewesen zu sein, wie sich in verschiedenen Momenten zeigte, so dass auch der Orchesterklang vielleicht auch nicht in voller Größe repräsentiert werden kann
Im kleinen Saal 9 im Cineplex Münster, der auch recht gut besucht ist, ist schon während der Pause eine deutliche Zufriedenheit hörbar und am Ende stimmen sogar ein paar Hände in den Applaus mit ein. Aber nur ganz leise.